Wie in den Demokratie-Defizit Beiträgen (I, II, III) begründet, existieren in der (deutschen) demokratischen Legitimierungs-Konstruktion sowohl strukturelle als auch systematische Fehlanreize. Dies betrifft das Grundfundament unserer Gesellschaft. Den Gesellschaftsvertrag. Nun mögen einige einwenden, dass Politik ja immer schon ein Machtspiel war. Daran könne man halt nur schwer was ändern. Gleichzeitig verkennt diese Ansicht die Ernsthaftigkeit der Problematik. Denn die Art und Weise der staatlichen Konstruktion - darunter die des Gesetzgebers, dessen Legitimation durch das Volk Grundmerkmal einer demokratischen Gesellschaft ist - betrifft jede und jeden in jedem Land, in dem die Gesetzgebung ihre Wirkung entfaltet. So zum Beispiel mittelbar oder unmittelbar bei der Frage nach den Öffnungs- und Verkaufszeiten, die Frage nach dem Tempolimit oder die Frage nach der Existenz und Höhe einer bestimmten Steuer. Wenn es also Probleme mit dem Prozess der demokratischen Willensbildung gibt, dann sollte eine Gesellschaft deren Behebung zur obersten Priorität machen.
Dieser Beitrag möchte Vorschläge liefern, wie die sich aus den strukturellen und systematischen Fehlanreizen ergebenden Probleme lösen lassen könnten. Ziel ist es, die liberale Demokratie und damit mittelbar die Freiheit des Einzelnen in Deutschland zu stärken.
> Der Lösungsansatz:
Da es sich bei den skizzierten Problemen um hauptsächlich strukturelle (hausgemachte) Probleme in der Staatskonstruktion handelt, muss die Lösung an dieser Stelle ansetzen. Notwendig halte ich hierfür eine zunehmende Dezentralisierung der Strukturen und eine Verkleinerung der staatlichen Einflussbereichs.
Anm. d. Autors: Im Folgenden spreche ich von Stadt. Dabei sind auch stets die Gemeinden mitgemeint.
a. Dezentralisierung
Eine Dezentralisierung der staatlichen Strukturen sieht in einem ersten Schritt vor, dass staatsorganisatorisch das Prinzip „den, den es angeht“ verstärkt ausgeprägt werden. Das sieht vor, dass die Städte größtmögliche Zuständigkeiten erlangen, für die Dinge, die sie angeht. Dazu gehört z. B. jegliche territoriale Gestaltungsmacht. Das würde z. B. bedeuten, dass jede Stadt seine eigene Bauordnung, oder sogar gar keine Bauordnung gestalten kann. Das bedeutet rechtlich im Grunde, dass die Zuständigkeiten von der EU, dem Bund, den Ländern, Bezirken (…) an die einzelnen Städte übertragen werden.
Der Einzelne lebt hauptsächlich in seinem (städtischen) Umfeld. Hier trifft er auf die städtischen Gebäude, die städtische Infrastruktur. Dort trifft er auf die ebenfalls an diesem Ort lebenden Menschen. Daraus folgt m. M. ein Anspruch auf erhöhte Mitbestimmung. Um eine höhere Mitbestimmung zu ermöglichen, braucht es gleichzeitig bei der Stadt eine erhöhte Zuständigkeit. Sprich: Um als Bürger in einer Stadt über die wesentlichen Dinge bestimmen zu können, muss die Stadt überhaupt über diese Dinge bestimmen können. Eine Dezentralisierung nach meinem Modell beinhaltet also sowohl eine strukturelle Erhöhung der Zuständigkeiten einer Stadt als auch die Erhöhung der gemeinschaftlichen Teilhaberechte.
Eine Dezentralisierung nach diesem Modell würde jeden Einzelnen zu mehr Mitbestimmung seines Umfeldes verhelfen. Durch die Begrenzung der Einflussbereiche - nämlich durch die Stadtgrenzen - führt das auch dazu, dass es stets nur den „betrifft, den es angeht.“ Nämlich den städtischen Bewohner. Zudem erhöht sich dann auch die Dynamik der städtischen Entwicklung. Die einzelnen Städte treten plötzlich in Wettbewerb zueinander und werben um die „besseren“ Bewohner. Die Begrenzung und der Wettbewerb führt auch zu einer Verringerung des Risikos von Projekten. Denn es ist risikoärmer, wenn eine Stadt einen Fehler macht, als wenn der Bund einen Fehler macht. Denn: Der Fehler der Stadt wirkt sich lediglich auf ihre Bewohner aus, der Fehler des Bundes hingegen wirkt sich auf jeden ihrer Bewohner aus.
b. Verringerung des staatlichen Einflussbereichs
Der staatliche Einflussbereich reicht von der Öffnungszeit des Supermarkts, bis zum Preis des Apfels in dem Supermarkt. Die Öffnungszeiten werden durch die Länder bestimmt - in Bayern ist der Supermarkt z. B. Von (in der Regel) 07 Uhr - 20:00 Uhr geöffnet. Der Preis des Apfels wird durch die 19 % Mehrwertsteuer (Bundesrecht) um eben diesen Preis teurer. Ebenso bestimmt der Staat mit dem Baurecht, ob und wie bestimmte Bauvorhaben abzulaufen haben.
Der staatliche Einflussbereich bestimmt sich letztlich durch Aufgaben, die der Staat lösen soll (muss). Doch übernimmt der Staat mittlerweile zu viele Aufgaben ? Übernimmt der Staat zu wenige Aufgaben ? Die sich hier stellende Gretchenfrage lautet:
Was soll der Staat dürfen dürfen ?
Diese Frage gilt es zu beantworten. So offen wie die Frage gestellt ist, so offen darf die Frage beantwortet werden. Soll er die Aufgabe bekommen, um für die Sicherheit der Menschen zu sorgen? Soll er sich darum kümmern, dass jeder Mensch glücklich ist und zu Wohlstand kommt? Und wenn der Staat diese Aufgaben haben soll, wie bewältigt er die Aufgaben ? Durch lückenlose Verhaltensvorgaben mittels Handlungsver- oder -geboten? Durch eine Erhöhung von Steuern für Verhalten, die der Staat nicht mag? Diese Frage hängt thematisch eng mit der aufgeworfenen Problematik aus dem Demokratie-Defizit I zusammen. Denn die dort skizzierte „Partikular-Interessen“- Jagd entsteht letztlich ja nur, weil der Staat sich um jene Probleme oder Interessen der Personen kümmern soll (darf).
Um auf die dort gestellten politischen Fragen zurückzukommen: Canabis-Verbot ? Hängt mit der Antwort einer Partei ab, ob ein (erwachsener) Mensch in der Lage sein darf, selbst über den Konsum bestimmter Mittel zu entscheiden. Manche Parteien trauen dem Einzelnen eine indidivuelle Gefahren-Prognose zu, andere wiederum nicht. Die vorgelagerte Frage lautet also: Sollte der Staat die Macht haben, darüber bestimmen zu dürfen, welche Verhaltensweisen ein Mensch entwickelt? Oder sollte es nach dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit die Aufgabe des Einzelnen sein?
PKW-Verbot? Hängt mit der Antwort einer Partei auf die Frage ab, ob diese Partei wissen kann, was denn das beste für „die Welt“ oder „das Klima“ ist. Das wiederum hängt mit der vorgelagerten Frage zusammen, ob der Staat darüber bestimmen darf, ob, was, wie, und wie viel produziert oder verkauft (und gekauft) werden darf.
Alles in allem sind es jedenfalls Wertfragen. Partei „befürwortet X“, Partei „lehnt X ab“. Das Problem hierbei ist, dass eine Partei damit ihre eigenen Wertvorstellung auf die gesamte Gesellschaft stülpt. So ist es ein Unterschied zwischen einer Person, die bestimmte Sachen gern mag und einen Wertekompass hat, und einer Partie, die bestimmte Sachen mag und diesen Wertekompass dann per Gesetz, Verordnung o. ä. auf die gesamte Gesellschaft überträgt.
Zugleich führt es zu dem Fehlanreiz, dass in der Politik nun plötzlich ein Weg eröffnet wird, wie die eigenen persönlichen Probleme und Interessen durch den Staat, sprich durch die Gemeinschaft, gelöst werden könnten. Das einzige, das es dazu braucht, ist eine Mehrheit. Dabei gilt es sich vor Augen zu führen, dass jeder, der in der einen Sache Teil der Mehrheit ist, bei einer anderen Sache Teil der Minderheit sein kann. Eine Minderheit liegt bereits bei 49,9 % vor.
So geht es dann stets um die Frage, welche der „Interessen“ denn die wichtige sei. Doch das ist mM die falsche Frage. Es geht nicht darum, welche der „Interessen“ wichtiger sei, viel wichtiger ist die Frage, ob der Staat in der Position sein darf, über die Antwort dieser Frage zu bestimmen. Denn weder möchte ich, dass es das sog. „Porsche-Privileg“ gibt. Noch dass es Subventionen zum Kauf von Lastenfahrräder gibt. Nicht, weil ich Porsche oder Lasenfahrräder hasse, sondern einfach aufgrund der Tatsache, dass sich der- oder diejenige die Sache selbst kaufen soll. Und dafür keinen Teil aus der Gemeinschaftskasse bekommen soll, zu dem jeder Einzelner der Gesellschaft seinen Teil beisteuert.
Was soll der Staat dürfen dürfen ? Als Liberaler fällt die Antwort so aus: Der Staat soll sich um äußere und innere Sicherheit kümmern. Er soll einen gewissen Nährboden zur Entwicklung von Individualität zur Verfügung stellen. Und er soll sich darum kümmern, dass fairer Wettbewerb am Markt herrscht. Ansonsten - insbesondere aus den sog. Marktvorgängen - soll er sich raushalten. In der Folge hat der Staat dann weniger Aufgaben zu erledigen, wofür er weniger Steuergelder benötigt. Gleichzeitig kann er sich voll und ganz auf die wenigen, aber dafür umso wichtigeren Kernaufgaben eines Staates kümmern. Die sinkende Steuerlast bedeutet gleichzeitig eine höhere wirtschaftliche Kraft und Freiheit beim Einzelnen. Welcher dann selbst entscheiden kann: Gebe ich das gesparte Geld für ein Lastenfahrrad aus? Oder spare ich es und gebe es für andere Sachen aus?
c. Rechtsstaat verstärken
Um das in dem Demokratie Defizit III aufgeworfene Problem zu beheben, gilt es den Rechtsstaat zu verstärken. Auch das ist mit entsprechendem politischen Willen möglich. Und es sei erinnert: Deutschland darf aufgrund diesen Mangels keine europäischen Strafbefehle stellen. Auch hier sei die Frage nach dem Anspruch von Deutschland gestellt.
Der Rechtsstaat garantiert zudem, dass die unterschiedlichen politischen Mächte ausbalanciert sind. Es gibt kein perfektes System, doch es gibt auf jeden Fall (bereits existierende) Konstruktionen, denen man sich bedienen kann, um sich besser vor Gefahren und Risiken zu schützen, die von politischer Macht ausgeht. Denn “Macht korrumpiert. Absolute Macht korrumpiert absolut”.
In Demokratie-Defizit III gehe ich drauf ein, dass das Problem kein unerkanntes ist. Es gab und gibt bereits viele Lösungsansätze, die die Verstärkung der richterlichen Unabhängigkeit und Verstärkung der Justiz vorsieht. Es fehlt einzig an politischem Willen. Eine starke Justiz braucht auch starke Mittel. Das Geld, das in diesem Gesamtkonzept für Subventionen, Bürokratie etc. weg fallen würde, könnte nun in die Verstärkung des Justiz-Personals, in den Ausbau des Justiz-Systems gesteckt werden. Das bedeutet schnellere Verfahren, fairere Urteile und mehr Rechtssicherheit. Insbesondere stellt es dann auch einen angemessenen Gegner - im Sinne des Konzepts der Checks and Balances - zur Regierung und zum Bundestag dar.
Im Folgenden gehe ich auf drei Vorschläge zur Verbesserung ein:
aa. Vorschlag der Linken
Die Linke brachte 2012 einen Vorschlag in Form eines Gesetzesentwurfs (https://dserver.bundestag.de/btd/17/117/1711701.pdf) ein. Im Kern sollte die institutionelle Selbständigkeit u. a. dadurch hergestellt werden, indem die Staatsanwaltschaft von der Exekutive gelöst wird und die Beamtenstruktur aus dem „historischen Beamtenrecht“ von Grund auf verändert wird. Historisch deshalb, weil die Beamtenstruktur fast unverändert aus dem Kaiserreich stammt.
bb. Vorschlag des NRV
Die Neue Richtervereinigung (NRV) machte ebenfalls Vorschläge. Die NRV fordert konkret drei Dinge (https://www.neuerichter.de/details/artikel/article/es-ist-an-der-zeit-ueber-justizstrukturen-in-deutschland-zu-reden-635):
Sie fordern die Etablierung von parlamentarisch verankerter Richterwahlausschüsse in allen Länder. Sie fordern die Etablierung von parlamentarisch verankerten Gerichtsbarkeitsräte. Und sie fordern die Schaffung demokratischer und hierarchiearmer Binnenstrukturen.
cc. Vorschlag des DRB
Der Deutsche Richterverbund (DRB) hat seine Vorschläge in einem Gesetzesentwurf (https://www.drb.de/fileadmin/DRB/pdf/Selbstverwaltung/100325_DRB-Gesetzentwurf_Selbstverwaltung_der_Justiz.pdf) vorgelegt.
Der DRB sieht ein Zwei-Säulen-Modell vor, nach dem sich die Justiz selbst verwaltet. Dies sieht u. a. Änderungen hinsichtlich der Eingliederung der Staatsanwaltschaft in die Justiz, dem Haushaltsrecht der Justiz und hinsichtlich Personalentscheidungen vor.
dd. Vorschlag des Europarats
Auch der Europarat monierte bereits die fehlende Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive. In einer Pressemitteilung vom 30.09.2009 (https://rm.coe.int/168071e7ff ) wurde über die Entschließung der Versammlung des Europarates (PACE) berichtet. Hintergrund war eine Untersuchung in u. a. Deutschland, inwieweit Politiker Strafverfahren beeinflussen können.
In dieser Entschließung wurde gefordert, dass Deutschland ein System der Selbstverwaltung der Justiz, gemäß der Jusizräte, einführen soll.
Es wurde zudem gefordert, dass das Weisungsrecht des Justizministers gegenüber der Staatsanwaltschaft abgeschafft werden soll.
Fazit:
Die aufgezeigten Defizite haben es in sich, unser gesellschaftliches Zusammenleben zu zerstören. Gleichzeitig handelt es sich um hausgemachte Probleme. Die Staatskonstruktion kann tatsächlich verändert werden. Und dann haben es diese in sich, eine bestmögliche Art des Zusammenlebens zu gewährleisten. Hierfür benötigt es jedoch einen politischen Willen der Bürger, eine liberal-demokratische Gesellschaft zu sein. Die nun mal erfordert, dass sich der Staat aus den Sachen heraus hält, die in den Verantwortungsbereich des Einzelnen gehört. Es erfordert aber dann für jene Aufgaben, um die sich der Staat kümmern muss, einen starken Staat. Das führt in der Folge zu einer Gesellschaft mit einem freiheitlichen Rahmen, in dem sich dann ergebnisoffen eine spontane Ordnung entwickeln kann.
Es gibt auch bereits andere Konzepte, die den sich mit der Frage auseinandersetzen, wie Strukturen ohne staatlichem Dasein aussehen könnten. So formulierte Titus Gebel z. B. Das Konzept einer sog. Freien Privatstadt: Ein Ort der Gemeinschaft (Stadt), in der es kein öffentliches Recht gibt und alle Dienstleistungen, die in den Nationalstaaten durch die Staaten erbracht werden (z. B. Straßenbau, Bildung, Infrastruktur) durch einen privaten Städtebetreiber erbracht werden. Und der Einzelne letztlich nur für die Leistungen zahlt, die er auch in Anspruch nimmt.
Ein Hoffnungsschimmer tut sich gerade auch in den USA auf. Dieser gibt dem Vorhaben Aufwind, dass auch die staatlichen Strukturen in Deutschland nicht für immer statisch bleiben müssen. Donald Trump will in Zusammenarbeit mit Elon Musk und Vivek Ramsaswarmy USA eine „De-Regulation-Task Force“ aufbauen. Sie soll Department of Government Efficiency, kurz DOGE) heißen. Aufgabe soll laut Donald Trump sein, „die Regierungsbürokratie abzubauen, überflüssige Vorschriften zu streichen, verschwenderische Ausgaben zu reduzieren und die Bundesbehörden umzustrukturieren“. Trump erklärte auch, dass Musk und Ramaswamy mit dem Office of Management and Budget zusammenarbeiten werden, um gegen das vorzugehen, was er als „massive Verschwendung und Betrug“ bei den Regierungsausgaben bezeichnete
Eine solche Bewegung kann auch in Deutschland Fuß fassen. Und dann erlebt Deutschland vielleicht das zweite deutsche Wirtschaftswunder.